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Illustration
von Otto Ubbelohde (1907)
Das
Waldhaus
Ein
Märchen der Brüder Grimm
Ein
armer Holzhauer lebte mit seiner Frau und drei Töchtern in
einer kleinen Hütte an dem Rande eines einsamen Waldes. Eines
Morgens, als er wieder an seine Arbeit wollte, sagte er zu seiner
Frau: »Lass mir ein Mittagsbrot von dem ältesten
Mädchen hinaus in den Wald bringen, ich werde sonst nicht
fertig. Und damit es sich nicht verirrt«, setzte er
hinzu, »so will ich einen Beutel mit Hirse mitnehmen
und die Körner auf den Weg streuen.«
Als
nun die Sonne mitten über dem Walde stand, machte sich das
Mädchen mit einem Topf voll Suppe auf den Weg. Aber die Feld-
und Waldsperlinge, die Lerchen und Finken, Amseln und Zeisige
hatten die Hirse schon längst aufgepickt, und das Mädchen
konnte die Spur nicht finden. Da ging es auf gut Glück immer
fort, bis die Sonne sank und die Nacht einbrach. Die Bäume
rauschten in der Dunkelheit, die Eulen schnarrten, und es fing
an, ihm angst zu werden. Da erblickte es in der Ferne ein Licht,
das zwischen den Bäumen blinkte.
Dort
sollten wohl Leute wohnen, dachte es, die mich über Nacht
behalten, und ging auf das Licht zu. Nicht lange, so kam es an
ein Haus, dessen Fenster erleuchtet waren. Es klopfte an, und
eine raue Stimme rief von innen: »Herein!«
Das Mädchen trat auf die dunkle Diele und pochte an die Stubentür.
»Nur herein«, rief die Stimme, und als es öffnete,
saß da ein alter, eisgrauer Mann an dem Tisch, hatte das
Gesicht auf die beiden Hände gestützt, und sein weißer
Bart floss über den Tisch herab fast bis auf die Erde. Am
Ofen aber lagen drei Tiere, ein Hühnchen, ein Hähnchen
und eine bunt gescheckte Kuh. Das Mädchen erzählte dem
Alten sein Schicksal und bat um ein Nachtlager. Der Mann sprach:
»Schön
Hühnchen, Schön
Hähnchen Und du schöne bunte Kuh, Was sagst du dazu?«
»Duks!«
antworteten die Tiere, und das musste wohl heißen »wir
sind es zufrieden«, denn der Alte sprach weiter: »Hier
ist Hülle und Fülle, geh hinaus an den Herd und koch
uns ein Abendessen.« Das Mädchen fand in der Küche
Überfluss an allem und kochte eine gute Speise, aber an die
Tiere dachte es nicht. Es trug die volle Schüssel auf den
Tisch, setzte sich zu dem grauen Mann, aß und stillte seinen
Hunger. Als es satt war, sprach es: »Aber jetzt bin ich
müde, wo ist ein Bett, in das ich mich legen und schlafen
kann?« Die
Tiere antworteten:
»Du
hast mit ihm gegessen, Du hast mit ihm getrunken, Du hast an uns
gar nicht gedacht, Nun sieh auch, wo du bleibst die Nacht.«
Da
sprach der Alte: »Steig nur die Treppe hinauf, so wirst
du eine Kammer mit zwei Betten finden, schüttle sie auf und
decke sie mit weißem Linnen, so will ich auch kommen und
mich schlafen legen.« Das Mädchen stieg hinauf,
und als es die Betten geschüttelt und frisch gedeckt hatte,
da legte es sich in das eine, ohne weiter auf den Alten zu warten.
Nach einiger Zeit aber kam der graue Mann, beleuchtete das Mädchen
mit dem Licht und schüttelte den Kopf. Und als er sah, dass
es fest eingeschlafen war, öffnete er eine Falltüre
und ließ es in den Keller sinken.
Der
Holzhauer kam am späten Abend nach Haus und machte seiner
Frau Vorwürfe, dass sie ihn den ganzen Tag habe hungern lassen.
»Ich habe keine Schuld«, antwortete
sie, »das Mädchen ist mit dem Mittagessen hinausgegangen,
es muss sich verirrt haben; morgen wird es schon wiederkommen.«
Vor Tag aber stand der Holzhauer auf, wollte in den Wald, verlangte,
die zweite Tochter solle ihm diesmal das Essen bringen. »Ich
will einen Beutel mit Linsen mitnehmen«, sagte er, »die
Körner sind größer als Hirse, das Mädchen
wird sie besser sehen und kann den Weg nicht verfehlen.«
Zur
Mittagszeit trug auch das Mädchen die Speise hinaus, aber
die Linsen waren verschwunden: die Waldvögel hatten sie,
wie am vorigen Tag, aufgepickt und keine übrig gelassen.
Das Mädchen irrte im Walde umher, bis es Nacht ward, da kam
es ebenfalls zu dem Haus des Alten, ward hereingerufen und bat
um Speise und Nachtlager. Der Mann mit dem weißen Barte
fragte wieder die Tiere:
»Schön
Hühnchen, schön Hähnchen Und du schöne bunte
Kuh, Was sagst du dazu?«
Die
Tiere antworteten abermals: »Duks!«, und es
geschah alles wie am vorigen Tag. Das Mädchen kochte eine
gute Speise, aß und trank mit dem Alten und kümmerte
sich nicht um die Tiere. Und als es sich nach seinem Nachtlager
erkundigte, antworteten sie:
»Du
hast mit ihm gegessen, Du hast mit ihm getrunken, Du hast an uns
gar nicht gedacht, Nun sieh auch, wo du bleibst die Nacht.«
Als
es eingeschlafen war, kam der Alte, betrachtete es mit Kopfschütteln
und ließ es in den Keller hinab. Am dritten Morgen sprach
der Holzhacker zu seiner Frau: »Schick unser jüngstes
Kind mit dem Essen hinaus, das ist immer gut und gehorsam gewesen,
das wird auf dem rechten Weg bleiben und nicht wie seine Schwestern,
die wilden Hummeln, herumschwärmen.« Die
Mutter wollte nicht und sprach: »Soll ich mein liebstes
Kind auch noch verlieren?«
»Sei
ohne Sorge«, antwortete er, »das Mädchen
verirrt sich nicht, es ist zu klug und verständig; zum Überfluss
will ich Erbsen mitnehmen und ausstreuen, die sind noch größer
als Linsen und werden ihm den Weg zeigen.« Aber
als das Mädchen mit dem Korb am Arm hinauskam, so hatten
die Waldtauben die Erbsen schon im Kropf, und es wusste nicht,
wohin es sich wenden sollte. Es war voll Sorgen und dachte beständig
daran, wie der arme Vater hungern und die gute Mutter jammern
würde, wenn es ausblieb. Endlich, als es finster ward, erblickte
es das Lichtchen und kam an das Waldhaus. Es bat ganz freundlich,
sie möchten es über Nacht beherbergen, und der Mann
mit dem weißen Bart fragte wieder seine Tiere:
»Schön
Hühnchen, Schön Hähnchen Und du schöne bunte
Kuh, Was sagst du dazu?«
»Duks!«
sagten sie. Da trat das Mädchen an den Ofen, wo die Tiere
lagen, und liebkoste Hühnchen und Hähnchen, indem es
mit der Hand über die glatten Federn hin strich, und die
bunte Kuh kraute es zwischen den Hörnern. Und als es auf
Geheiß des Alten eine gute Suppe bereitet hatte und die
Schüssel auf dem Tisch stand, so sprach es: »Soll
ich mich sättigen, und die guten Tiere sollen nichts haben?
Draußen ist die Hülle und Fülle, erst will ich
für sie sorgen.«
Da
ging es, holte Gerste und streute sie dem Hühnchen und Hähnchen
vor und brachte der Kuh wohlriechendes Heu, einen ganzen Arm voll.
»Lasst' s euch schmecken, ihr lieben Tiere«,
sagte es, "und wenn ihr durstig seid, sollt ihr auch einen
frischen Trunk haben.« Dann trug es einen Eimer voll
Wasser herein, und Hühnchen und Hähnchen sprangen auf
den Rand, steckten den Schnabel hinein und hielten den Kopf dann
in die Höhe, wie die Vögel trinken, und die bunte Kuh
tat auch einen herzhaften Zug. Als die Tiere gefüttert waren,
setzte sich das Mädchen zu dem Alten an den Tisch und aß,
was er ihm übrig gelassen hatte. Nicht lange, so fing das
Hühnchen und Hähnchen an, das Köpfchen zwischen
die Flügel zu stecken, und die bunte Kuh blinzelte mit den
Augen. Da sprach das Mädchen: »Sollen wir uns nicht
zur Ruhe begeben?«
»Schön
Hühnchen, Schön Hähnchen Und du schöne, bunte
Kuh, Was sagst du dazu?«
Die
Tiere antworteten: »Duks, Du hast mit uns gegessen, Du
hast mit uns getrunken, Du hast uns alle wohlbedacht, Wir wünschen
dir eine gute Nacht.«
Da
ging das Mädchen die Treppe hinauf, schüttelte die Federkissen
und deckte frisches Linnen auf, und als es fertig war, kam der
Alte und legte sich in das eine Bett, und sein weißer Bart
reichte ihm bis an die Füße. Das Mädchen legte
sich in das andere, tat sein Gebet und schlief ein. Es schlief
ruhig bis Mitternacht, da ward es so unruhig in dem Hause, dass
das Mädchen erwachte. Da fing es an, in den Ecken zu knittern
und zu knattern, und die Türe sprang auf und schlug an die
Wand; die Balken dröhnten, als wenn sie aus ihren Fugen gerissen
würden, und es war, als wenn die Treppe herabstürzte,
und endlich krachte es, als wenn das ganze Dach zusammenfiele.
Da es aber wieder still ward und dem Mädchen nichts zu Leid
geschah, so blieb es ruhig liegen und schlief wieder ein. Als
es aber am Morgen bei hellem Sonnenschein aufwachte, was erblickten
seine Augen?
Es
lag in einem großen Saal, und ringsumher glänzte alles
in königlicher Pracht: An den Wänden wuchsen auf grünseidenem
Grund goldene Blumen in die Höhe, das Bett war von Elfenbein
und die Decke darauf von rotem Samt, und auf einem Stuhl daneben
stand ein Paar mit Perlen gestickte Pantoffeln.
Das
Mädchen glaubte, es wäre ein Traum, aber es traten drei
reich gekleidete Diener herein und fragten, was es zu befehlen
hätte. »Geht nur«, antwortete das Mädchen
»ich will gleich aufstehen und dem Alten eine Suppe kochen
und dann auch schön Hühnchen, schön Hähnchen
und die schöne bunte Kuh füttern.« Es dachte,
der Alte wäre schon aufgestanden, und sah sich nach seinem
Bette um, aber er lag nicht darin, sondern ein fremder Mann. Und
als es ihn betrachtete und sah, dass er jung und schön war,
erwachte er, richtete sich auf und sprach:
»Ich
bin ein Königssohn und war von einer bösen Hexe verwünscht
worden, als ein alter, eisgrauer Mann in dem Wald zu leben, niemand
durfte um mich sein als meine drei Diener in der Gestalt eines
Hühnchens, eines Hähnchens und einer bunten Kuh. Und
nicht eher sollte die Verwünschung aufhören, als bis
ein Mädchen zu uns käme, so gut von Herzen, dass es
nicht nur gegen die Menschen allein, sondern auch gegen die Tiere
sich liebreich bezeigte, und das bist du gewesen, und heute um
Mitternacht sind wir durch dich erlöst und das alte Waldhaus
ist wieder in meinen königlichen Palast verwandelt worden.«
Und
als sie aufgestanden waren, sagte der Königssohn den drei
Dienern, sie sollten hinausfahren und Vater und Mutter des Mädchens
zur Hochzeit herbeiholen. »Aber wo sind meine zwei Schwestern?«
fragte das Mädchen. »Die habe ich in den Keller
gesperrt, und morgen sollen sie in den Wald geführt werden
und sollen bei dem Köhler so lange aIs Mägde dienen,
bis sie sich gebessert haben und auch die armen Tiere nicht hungern
lassen.«
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